Nicht Steintal noch Vandalenpark
Ein mittelprächtiger Spätsommer. Der verkrampfte Unibetrieb brachte vor allem Überdruss hervor, dieses Gefühl von Staub im Hirn. Zu viele, die Ihre Hauptseminare abhandelten im Stile von Ich kenn's, du kennst's - sehen wir zu, daß wir durchkommen. Ein paar Lichtblicke, überraschend oft in Veranstaltungen, die gemein schwierig waren. Englische Sprachhistorik. Ein wundervolles Seminar zu E.A.Poe. Anstrengend, fordernd, anregend.
An einem dieser Nachmittage in unserem Dachzimmerchen mit den Schrägen, in dem er so hochgewachsen wirkte, muß es angefangen haben. Weiß nicht mehr, von wem die Idee gekommen ist; vielleicht von ihm selbst. Jedenfalls sprachen wir von Uriah Waterloo Parish. Ein merkwürdiger Literat: Ehemaliger IRA-Aktivist, bei einem mißglückten Bombenattentat beide Hände verloren, weshalb man bei ihm von Pedoskripten zu sprechen hatte, nicht von Manuskripten. In den nächsten zwei Jahren tauchten aus dem Nichts Parish-Texte auf, geschrieben auf Toilettenpapier, Zeitungrändern, Einmalhandtüchern. Gedichte, Short Stories, Fragmente, mit denen wir uns auseinandersetzten. Einmal im Jahr bekamen wir schriftliche Einladungen, trafen uns zum Uriah-Waterloo-Parish-Symposium. Im Alpenstübl. Neue Fundstücke wurden begeistert diskutiert, schnapsselig Parish-Gedichte vorgetragen. Im akademischen Betrieb war man neugierig. Was wir da taten, war mysteriös und - in den Augen Außenstehender - prestigeträchtig. Man fasste sich an den Kopf und gestand auf keinen Fall ein nicht zu wissen, wer zum Teufel Uriah Waterloo Parish sei.
Ein wunderbares Spiel. Uriah Waterloo Parish hat es nie gegeben. Er ist eine Kunstfigur, entwickelt und mit Leben erfüllt von ein paar neugierigen umtriebigen Studenten und einem ganz besonderen Professor. Das Alpenstübl gibt es jedes Jahr in dieser Stadt nur für zehn Tage: Es ist eine große Zeltbude auf der Herbstkirmes, laut, rauh und ein bißchen prollig. Aber der Klare, den sie da ausschenken, der ist wirklich okay.