Kunst-Los
Vor Jahren geschworen in Köln keine Ausstellungen mehr zu besuchen. So lange her, daß der Schwur in Vergessenheit geriet. Blödes Gestoße, Geschiebe, Geschubse ohne Not. Geräuschpegel wie beim Open Air eine Stunde vor Konzertbeginn. Sinn- und fühlloses Kreuzen der Blicklinien anderer und - Krönung, Krönung - Aufbauen in 10cm-Distanz vor den niedrig gehängten Bildern, dann dort anwachsen. Oh, ich wußte nicht, daß ich so hassen kann.
Und existiert überhaupt eine größere Pest als jene der telefonartigen Geräte, die jeder zweite am Ohr hat, und die einen kundigen Führer ersetzen sollen? Da stehen sie, bewegungslos, das Teufelsding am Ohr, nehmen weder die um sich herum wirklich wahr noch gar Rücksicht auf sie - und begreifen rein gar nichts, weil sich im Hirn Sprachkanal und Sehnerv um die Vorherrschaft prügeln.
Und dort, vor einem der Prunkstücke der Ausstellung finden sich drei Paare, die sich länger nicht gesehen haben, entblöden sich nicht direkt vor dem Bild im Kreis Aufstellung zu nehmen und in breitestem Kölschen Dialekt und geistlos-irrer Lautstärke das Rückenleiden von Hannes durchzuhecheln; ein solid block
aus Dauerwellen, Perlenkettchen und abscheulichen Kravatten, 1,90 hoch, 3,50 breit, 3,50 tief, daselbst plaziert für mehr als 40 Minuten. Der Herr bewahre mich vor unserem Bildungsbürgertum!
Auf der Lederbank in der Mitte des Raumes sitzen drei Weiber und fressen Stullen aus Plastikschachteln. Auch sie keine Touristen, die sich im Ausland daneben benehmen - Tonfall und Sprachduktus eindeutig lokal. Auch ihre Unterhaltung hat nichts mit dieser Ausstellung zu tun und ist laut, viel zu laut. Nicht zu reden von dem jungschen Pärchen auf der anderen Seite, die unbedingt hier und nur hier die erste große Krise ihrer Beziehung abhandeln müssen, unübersehbar.
Überdies sind die Exponate lieblos gehängt; ein innerer Zusammenhang ist bis auf wenige Ausnahmen nicht zu erkennen, und alle, alle hängen ungefähr dreißig Zentimeter zu tief. Bei der Verglasung [SIC!] ist nicht gespart worden; die ist teuer und minimal reflektierend. Hilft aber nicht, weil die Ausleuchtung eine echte Katastrophe ist. Ohne mehr oder minder eigentümliche Verrenkungen wird man die Reflexe kaum los. Dafür müßte man recht weit vom Bild zurücktreten, und das verbietet sich, weil - siehe erster Absatz.
Nach langer passiver Verteidigung des Raumes und dem Abschießen wilder gifter Blicke galore gelingt es dann doch noch - immerhin ein paar Minuten ohne Unterbrechung des Blicks vor meinem Lieblingsbild.
Das, allerdings, muß noch gesagt werden: Die Bilder sind großartig.
[Die blauen Reiter, Museum Ludwig, Köln,
letzter Ausstellungstag 11. Juli]