Impressionen
I
Ich frage ihn, woher er ursprünglich stammt. 'Liverpool', sagt er. Eine kleine freundlich-spitze Bemerkung über seinen Akzent bringt ihn zum Lachen, er entblößt ein strahlend weisses Gebiß. Im Unterkiefer fehlen die beiden Frontzähne, lassen mich an einen häßlichen Sturz denken oder an eine Kneipenschlägerei. Er schiebt sich die Baseballkappe aus der Stirn und mustert uns aus klaren blauen Augen.
'Bei Kriegsende' erzählt er 'war ich Sieben und hatte meinen Vater nie gesehen. Er fiel als ich drei Jahre alt war. Ich kam '55 mit der Navy hierher.' Sein drahtiger Körper strafft sich fast unmerklich, kurzes Schweigen tritt ein. Louis' dunkelgegerbte Haut ist voller Narben. Man sieht, daß dieser Körper schon einiges mitgemacht hat. 'Hier lernte ich meine Frau kennen. Als wir heirateten, mußte ich meine Staatsbürgerschaft aufgeben und wurde Malteser.' Pause. 'Schon merkwürdig,' sagt er versonnen 'erst Brite, dann Malteser - und jetzt bin ich plötzlich Europäer.'
II
Die Shorts sind eher Dreiviertelhosen, das Top hat überschnittene Ärmel, das sollte reichen. Tut es nicht: Mit unmißverständlicher, fast herrischer Geste hält man mir ein Baumwolltuch von undefinierter Farbe entgegen und bedeutet mir, ich möge meine Schultern bedecken. Ein schweifender Blick durch den Innenraum der Kirche macht mich lachen: Hier, ausgerechnet, ist die Geschlechtergerechtigkeit Wirklichkeit geworden. Die Hälfte der anwesenden Männer trägt ebenfalls einen indefiniten Lappen um die Schultern.
Ein Mädchen stört die Kontemplation vor Caravaggios 'Enthauptung von Johannes dem Täufer' mit nervenden Raschelgeräuschen. Um die schmalen Hüften geknotet trägt sie eines der ominösen Tücher, um die Schultern ein weiteres. An den bloßen Füßen hat sie billige Plastikbeutel wie aus der Obstabteilung im Supermarkt. 'Raschel, raschel. - Raschel, raschel.' mit jedem Schritt.
Was wohl die toten Großmeister unter den prächtig intarsierten Steinplatten davon halten mögen, daß man hier über sie hinweg raschelt- und flippfloppt?...
III
'Guten Abend.' Aus dem Halbdunkel kommt er nach vorn ins Licht. Über dem Laden ein Schild: Taxi & Car Rentals. Es ist kurz vor Mitternacht. Ein paar einleitende Sätze, eine Frage: 'Wie lang ist Ihr Arbeitstag?' Er erzählt, der begänne um Acht, ende gegen Drei. Zupft sich einen Fussel vom teuer aussehenden Polohemd, rückt die goldene Uhr zurecht. Nein, viel Privatleben bliebe da nicht. Aber gleich werde er für eine Stunde in die Bar ein paar Häuser weiter gehen, da gäbe es Karaoke. Plötzlich leuchten seine Augen. 'Was werden Sie singen?' - 'Tom Jones - Sexbomb' Seine Stimme wird einen Ton dunkler vor Bewunderung und Respekt. 'Ich hoffe, ich komme heute dran', sagt er erwartungsvoll. 'Es sind noch zehn Leute vor mir angemeldet.'
IV
Die blaue Drillichhose ist hell von Zementstaub, das schmutzige T-Shirt klebt verschwitzt an seinem Rücken, die Farbe der Haare ist unter dem Staub nur zu raten. In der linken Hand schwingt müde ein Henkelmann.
Seine Tuchschuhe sind mit Mörtel bespritzt, und mich schaudert bei dem Gedanken, daß er den ganzen Tag mit Steinquadern hantiert hat. In diesen Schuhen.