Numerologie an der Spree
Das Paket, so teilt mir der Brief mit, konnte nicht zugestellt werden, da unter der fraglichen Straße, Hausnummer niemand meines Namens gefunden worden sei. Ich möge mich mit dem Unternehmen in Verbindung setzen. Der Brief, der mir diese Mitteilung machte, ist mir zugestellt worden - unter nämlicher falscher Adresse.
Friedrichshain
Verhältniswahlrecht!
Oligarchien!
Drakonische Strafen für Ruhestörer!
... ach, is' doch wahr.
Kriminell
Flieder klau'n, ich möchte einfach nur Flieder klau'n.
Mai, Mai, Maibowle
Der thailändische Gemüse- und Kräuterhökerer hat ganz offensichtlich niemals das Wort Waldmeister vernommen, doch versteht er die Intensität meines Wunsches sehr gut. Er läßt sich das Zungenbrecherwort dreimal langsam vorsprechen, lächelt und versichert 'Morgen, ich habe!' Ich bin durchaus skeptisch und werde am nächsten Tag, auf dem Weg nach anderswo, am Laden vorbei, eines Besseren belehrt. Ein hektischer Anruf beim Liebsten, Marke mach-mal-tu-mal sichert uns die drei Waldmeisterpflanzen. Der eingeplante Weißwein ist deutlich zu lieblich. Dennoch - der Duft des Waldmeistersträußchens macht glücklich. Ein dreifach hoch auf das lymbische System.
Letzte Meldung aus Berlin: Der Frühling fällt aus.
Die Stadt explodiert. Plötzlich tobt auf allen Straßen und Plätzen das Leben, und man bekommt schockartig eine Vorstellung von der Einwohnerzahl dieser Metropole. Fasziniert schaue ich mir Menschen an und frage mich, ob die alle riesengroße Kleiderschränke haben - so schnell wie man hier Zugriff auf seine Sommerklamotten zu haben scheint (meistenteils allerdings im typischen Berliner Unstil. Naja. Ein wenig Schwund ist immer. Angenehmes Augenfutter jedenfalls ist hier die Ausnahme, nicht die Regel.) Die Vegetation benimmt sich, als wäre etwas hinter ihr her. Keine Zeit, keine Zeit! Von den ersten schüchternen Blättern der Kastanie bis zur vollen Blüte vergehen keine 10 Tage. Der Frühling dauert drei Tage, dann ist Frühsommer, quasi ansatzlos. Die Biergärten und Parks sind voll, die Grillsaison wird aus dem Stand eröffnet sobald die Außentemperatur zweistellig im Plus ist. Inklusive Wolldecke auf dem noch kalten Boden. Kriegen Berliner keine Nierenbeckenentzündungen? Der Eindruck inherenter Hektik drängt sich auf. Wie meist bewege ich mich antizyklisch. Ein Versuch mir die innere Ruhe zu bewahren und dennoch mitzunehmen, was sich bietet. Es ist schwer sich diesem tendenziell hektischen Lebensgefühl zu verweigern. Es ist schwer dieses Empfinden von überall-dabei-sein-müssen im Zaum zu halten, so deutlich wie diese Stadt das carpe diem umsetzt - was nichts anderes heißt als daß man hier so zu leben scheint als rechne man ständig damit im nächsten Augenblick tot umzufallen. Nein, hier ist das nicht positiv gemeint, hier ist nicht die Haltung des Zen angesprochen, vielmehr das gehetzte Vielleicht-wäre-es-anderswo-noch-viel-toller-Gefühl. [Ich werde mein Lebtag nicht vergessen wie tief das Gefühl der Kränkung war, als auf einer meiner Feten Gäste in der Küche per Handy die nächste Verabredung der Nacht in ausbaldoverten. Das ist für mich die im Herzen häßliche Haltung des Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob er nicht noch was bess'res findet. Man nimmt sich nicht mehr wirklich Zeit; da ist keine Geduld, keine abwartende Neugierde, keine Ruhe.] Mit Köln, in seiner wurschtigen Ichbezogenheit, der Behäbigkeit und dem Wohlfühlen im Filz verband mich eine heftige Hassliebe - wobei der Hass überwog. Nun, endlich und Bastet-sei-es-gedankt weit weg, lerne ich immerhin diese Behäbigkeit verstehen. Es ist nicht das Berliner Tempo an sich, das mich verrückt macht. Es ist der panische Unterton, den ich darin wahrnehme, der mich in den Wahnsinn treibt. Ich werde herausfinden müssen, wie man, wie dieses Kathleen-ich am Besten damit umgeht. Noch bin ich nicht so weit.
Die lange Buchnacht in Kreuzberg
Die lange Buchnacht hat ein Problem: Sie ist letztlich zu kurz. Wenn man wirklich jemandem zuhören will, hockt oder steht man doch eine halbe bis eine volle Stunde lauschend herum. Damit ist ein selektiver Angang nötig - was will man wirklich hören/sehen - und das ist schade, denn interessant ist so vieles. Gestern waren es also
- die Brauseboys Umwerfend komische, knochentrocken vorgetragene Texte, die mir zeigten, wie man im - weitesten Sinne kulinarische - Texte richtig aufbereitet und in Ohren verteilt. Wundervoll, das.
- Arnon Grünberg und seine 'Gnadenfrist' Beeindruckend, spannend, beängstigend. Besondere Vorliebe meinerseits: Der deutlich erkennbare holländische Akzent des Autors.
- Julia Kissina Außerordentlich skurile, absurde Geschichten, ein gekonnter cliffhanger und ein Vortrag, der klärte, wie man gut liest. An dieser speziellen Qualität änderte es überhaupt nichts, daß Frau Kissina mit der deutschen Sprache nicht wirklich vertraut ist, und Verhaspler und Versprecher an der Tagesordung waren.
Der krönende Abschluß war das Oberkreuzberger Nasenflöten-Orchester Zehn vor Virilität strotzende Kerle in unterschiedlichen Stadien der Verlebtheit nehmen sich und alles nach allen Regeln der Kunst auf die Schippe, haben dabei jede Menge Spaß und machen auch allen anderen viel davon. Nasenflöten sind übrigens mit Sicherheit das absurdeste "Musikinstrument", das die Welt je sah. Anbei ein paar Photos sowie eine Hör- und Betrachtungsprobe. (Letztere habe ich wieder herausgenommen, denn sie hat eine mordsmäßige Ladezeit. Scusi. Man findet das Filmchen aber noch hier: dragonworks.de)