Anyone's Daughter
Da sagst du mir, du fändest deine Tochter nicht mehr wieder. Es klingt wie eine Anklage. Und es ist auch so gemeint. Dabei benutzt du auch noch den Namen, den ich vor Jahren schon ablegte, was du nie respektiert hast. Seit gestern kaute ich an deinen Sätzen und konnte nicht schlucken. Jetzt weiß ich auch warum: weil mein Herz genau wußte, daß da ausspucken besser sei.
Natürlich findest du diesen Menschen nicht mehr, von dem du da sprichst. Diese kleine zarte Tochter mit der dünnen Haut, der unter anderem du einen soliden Minderwertigkeitskomplex mit auf den Lebensweg gegeben hast, die gibt es so nicht mehr. Und auf weiten Strecken ist das gut so. Es ist gut, daß ich mich nicht mehr kleiner, dümmer, merkwürdiger finde als den ganzen Rest der merkwürdigen Menschheit. Es ist gut, daß ich in der Lage bin 'to stand my grounds', in welchen Belangen auch immer. Dich stören die harten Kanten? Die Deutlichkeit? Daß ich mir nicht mehr jeden Schuh anziehe, den du mir hinstellst, sondern nur noch die, die mir auch passen? Sollte das wirklich so sein, hast du dich hinsichtlich deiner ausgesprochenen Erziehungsziele belogen. Und mich ebenfalls.
Was mich aber so richtig wütend macht, ist die Tatsache, daß du mir 20 Lebensjahre mehr als Basis eines per se überlegenen Erfahrungshorizontes darstellst. Die letzten 15 Jahre, mindestens, hast du soweit ich sehen kann, lediglich die Erfahrung eines Jahres 15 Mal wiederholt. Auf meinem Erfahrungshorizont haben sich Dinge und Geschichten ereignet, die deiner Erfahrungswelt mit absoluter Sicherheit so fern sind wie der Sirius der Erde. Pack ihn wieder ein, deinen überlegenen Erfahrungshorizont. Hör' mir lieber 'mal zu. Ganz und gar offen, nicht mit den veralteten Schubladen im Kopf. DAS wäre ein Schritt nach vorn, eine überlegene Erfahrung.