BEYOND the void
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Die russische Puppe

Meist Ende Zwanzig bis Mitte Dreißig driften sie durch ihr Leben. Je nach Temperament mit einem trotzigen Gesichtsausdruck à la ich-bin-ein-Kerl-und-komme-sehr-gut-allein-klar oder in diesem speziellen Air von die-Richtige-ist-mir-einfach-noch-nicht-begegnet, umweht von leichter Melancholie. Abgesehen davon, daß beide Haltungen nur auf jene Frauen anziehend wirken, die sich selbst entweder für ein Geschenk an die Menschheit halten oder aber vor lauter Helfersyndrom kaum aus den Augen gucken können, ist diesen Attitüden nicht zu trauen: Frau lernt einen Mann kennen, klug, belesen, humorvoll, offen. Jedenfalls schätzt er sich selbst so ein und verhält sich auch so - und zwar genau so lange, bis die Frau auf dem Pfad ihres Vertrauens von freundschaftlicher Zuneigung in Richtung Leidenschaft oder gar Liebe gegangen ist. Dann ändert sich das Bild mit brutaler Plötzlichkeit. Nächte selbstzerfleischenden Gejammers - ich hab' dich gar nicht verdient, ich bin so ein blöder Trottel - unter Tränen und Händeringen und selbstverständlich mit dringendem Bedarf an ihrem Verständnis und ihrer starken Schulter wechseln mit Tagen drastischer Anwürfe und unverhüllter Aggression - du verstehst überhaupt nichts, du kalter Fisch - in denen sie nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht. Nun anzunehmen, daß er ein Problem mit sich selber hat, und Hilfe benötigt, führt wieder in die Irre. Vielmehr ist die Larmoyanz wie die zur Schau gestellte wütende Arroganz nur die zweite Schicht. Die dritte: Mann gefällt sich sehr in dieser Lage, der Unverstandene, der Alleingelassene, der Liebesunfähige zu sein. In dieser Position ist jeder verantwortlich. Die Frau, die geht; die Frau, die nicht versteht oder die Frau, die die Frechheit hatte, dem armen Mann das Gen der Liebesunfähigkeit zu vererben. Mit einem Wort: Die Frau. Nur nicht er selbst. Niemals. Unter diesen Umständen kann man sich trefflich durchs Leben treiben lassen. Wenn man es selbst als ziellos oder gar als verpfuscht empfindet, ist das halb so schlimm, schließlich ist man völlig unschuldig daran. Eine Frau, der es gelingt diese Matroschka bis auf die massive Puppe im Kern von ihren Aussenschichten zu lösen, wird von diesem Kern - selbst wenn er etwas taugt - nicht mehr selbst profitieren. Die vollständige Enttarnung muß bestraft werden. Die nächste Frau hat eine Chance - vorausgesetzt, sie taucht auf, bevor der Kerl seine Matroschka vollständig rekonstruiert hat.

Update: Ich mag Männer. Ich weigere mich lediglich an diesem Mögen zu erblinden.

feldforschung  2003 · 23:39  # ·  x  | 364 x gelesen pixel