BEYOND the void
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Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen..

Über Fliegerphotos gestolpert. Rhönlerche, Antonov... Die Erinnerung schickt zuerst Gerüche - Holz, unbehandelt, schon lange trocken: Die Hütten, in denen wir in unseren Stockbetten schliefen. Direkt dran: Der Geruch der Lampen. Wer kennt das noch, den Geruch von Lampen, die mit Glühstrümpfen betrieben werden? Man riecht Petroleum, aber nicht so laut, nicht so giftig wie bei einer Dochtleuchte. Man riecht die verbrannte Luft in der Umgebung der Lampe. Irgendwie ... trocken.

Dann kommen die Bilder, die Geschichten... Ich war nur dort, weil ich einen Freund begleitete, der einen Segelkurs gebucht hatte. Vormals selber (Motor-)Flieger, fehlte mir dafür im Studium das Geld. Doch Spaß hatte ich mehr als genug: Kleine Segelflugzeuge wie die Rhönlerche werden über eine Winde gestartet. Am Ende des Platzes steht eine mörderische Maschine inklusive dickem Dieselmotor, der eine Seilrolle antreibt, schnell, verdammt schnell. Auf dieser Seilrolle ist ein mittelprächtig starkes Stahlseil aufgewickelt. Die Endschlaufe dieses Seils wird mit nicht mehr TÜV-tauglichen Autos zum Flugzeug gefahren, und an diesem eingeklinkt. Diese irren Kisten hab' ich damals eine Woche lang über die Wiese gejagt, mir regelmäßig Zigarren eingefangen, weil ich auf dem Hinweg - d.h. ohne Seil - fuhr als gäbe es kein morgen. Dabei konnte es einem ohne Weiteres passieren, daß man plötzlich den Schaltknüppel in der Hand hatte oder lernte, was 'Zartgefühl' für eine Uraltkupplung wirklich bedeutet. Falls nicht, konnte man sehr schnell und häßlich lernen, was ein milderes Schleudertrauma mit der eigenen Halswirbelsäule anzustellen vermochte...

Wenn das Seil am Flugzeug ist, macht man sich als 'Seilfahrer' beschleunigt vom Acker und aus dem Weg. Auf das 'go' hin holt die Seilwinde das Seil mit Affenzahn ein und katapultiert die Flugmaschine in den Himmel. Das Ausklinken liegt in der Verantwortung des Piloten. Man lernt schnell den richtigen Zeitpunkt zu erkennen. Und der Rest ist Thermik. Lernt man das nicht, ist der Flieger Schrott und man selbst um eine Menge Ärger reicher. Tödlich endet dies selten. Aber das ist eine andere Geschichte...

In der Geschichte eines jeden Fliegers gibt es die Story von der langgezogenen Abfahrtsschleife/-kurve. Vermutlich in allen Sprachen und in allen Ländern. Dies ist eine Flugfigur, die eher harmlos anfängt - die Maschine in einer Linie mit dem künstlichen Horizont. Wenn Thermik und Flughöhe es zulassen, legst du die Kiste, Grad für Grad, in eine Position, in der beide Tragflächen in einer Linie liegen --- in der Senkrechten. Dann holst du sie langsam zurück. Langsam und vorsichtig. Die Figur, die du dabei beschreibst, kommt im Idealfall einem übergroßen sehr schmalen 'O' sehr nahe. Und die Kräfte, die dabei auf dich und deinen armen Magen wirken, sind, die Maßeinheit g betreffend, nicht von schlechten Eltern...

Von alldem ahnte ich nichts, als mir Andreas, einer der Fluglehrer, am Abend sagte:"Wenn du willst, schenke ich dir morgen einen Freiflug. Wenn du mitwillst, sei um neun vor der Hütte." Natürlich war ich da. Mir schwante Unbill, als Andreas sagte:"Geh' du nach vorn, steuern kann ich auch von hinten." - Nundenn. Feige war ich nie. Die erahnte Unbill erhielt deutlich Gestalt, als ich ihn sagen hörte - wir waren schon in der Luft - 'Ich möchte dich schreien hören - schaun' wir 'mal.' Und er zog die Kiste in die oben erwähnte lang gezogene Abfahrtkurve. Ich, vorn, hatte lang genug zu tun mit meinem armen Innenohr, von meinem Magen ganz zu schweigen, und war innig dankbar für meine Intuition, die mich zum Frühstück nur einen schwarzen Tee hatte trinken lassen. Er zog die Kurve bis zur Grenze des Erlaubten und Vernünftigen. Von mir kam kein einziger Ton, kein Laut.

Nach der Landung schlug er mir auf die Schulter, daß es mich zehn Zentimeter in die Wiese schlug:"Teufel auch! Das ist eine Frau nach meinem Herzen! Die heftigste, die ich bisher flog, und du machst das mit, als wäre gar nichts. Hochachtung!"

Was er nie erfuhr: Mir war nie in meinem Leben mehr nach Schreien, Kreischen, Schlagen, vielleicht sogar nach um-mein-Leben-bitten gewesen. Nur: Kämpfend mit einem unbotmäßigen Magen und meinem Bedürfnis nach Würde, hatte ich für all das schlicht keinen Atem, keine Luft.

Er hält mich bis heute für ein Teufelsweib.

radio me  2004 · 03:17  # ·  x  | 538 x gelesen pixel