Mr. Murphy and I
Mr. Murphy war mir seit Kindertagen ein guter Freund.
Als ich auf die erste Geburtstagsparty meines Lebens eingeladen wurde, kümmerte er sich fürsorglich darum, daß die Masern bei mir punktgenau einen Tag vor dem ersehnten Fest zu Tage traten, auf daß ich sie nicht der kleinen Gesellschaft als Gastgeschenk antragen konnte.
Bei meinem ersten - und letzten - Sprungtunier forderte er mich gewaltig, indem er mich mit strömendem Regen und schwerem Boden versorgte, schließlich sollte ich auch unter widrigen Bedingungen glänzen können. Daß er mich gründlich überforderte und ich den schweren Sturz nur mit Glück ohne Brüche und mit ein paar satten Prellungen überstand, war sicher keine böse Absicht.
Meine erste große Liebe verknallte sich in ein Pfannenkuchengesicht und Mr. Murphy war so freundlich mich erst viel später mit der Erkenntnis zu versehen, diese schmerzhafte Tatsache habe mit mir persönlich gar nichts zu tun, sondern vielmehr damit, daß Pfannenkuchengesicht mit Mario ins Bett ging. Im Gegensatz zu mir - hallo, ich war gerade 14.
Einige Jahre war Mr. Murphy mein ständiger Begleiter; man gewöhnte sich aneinander. Ich lernte ihn hinzunehmen wie einen lästigen Untermieter - stinkt und nervt, aber was soll man machen, das Mietrecht läßt eine Kündigung nicht zu.
Mr. Murphy war geradezu rührend um meine Charakterbildung besorgt.
Ich bin sicher, daß er dafür verantwortlich war, daß man mich für die Abiturabschlussfeier auf die Rednerliste setzte, ohne daß ich davon erfuhr. Dies verschaffte mir das zweifelhafte Vergnügen vor 600 Menschen eine Stehgreifrede halten zu dürfen, und daß diese sehr gefiel, hängt bestimmt damit zusammen, daß Mr. Murphys anderweitige Verpflichtungen seine Teilnahme an der Veranstaltung bis zum Schluß nicht zuließen.
Dann sah ich ihn einige Jahre nicht, aber pünktlich zu meiner wichtigsten Magisterprüfung fand er sich wieder ein, bescherte mir einen schlechtgelaunten Professor, einen geduckten, schweigsamen Beisitzer und einen 1a-Sprachverschlag. Macht sich nicht so gut in einer Fremdsprachen-Prüfung. Glücklicherweise hatte Mr. Murphy offensichtlich viel zu tun, so daß es mir gelang die Katastrophe auszubügeln und abzufangen, bevor er sich wieder in meiner Nähe aufhielt.
Danach sah ich ihn lange nur sporadisch, was mir die Möglichkeit gab - besser spät als nie - das lebensnotwendige Maß an Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl auszuprägen. Eigenschaften, deren Entwicklung er nicht schätzte und in den zurückliegenden Jahren gezielt unterbunden hatte.
Mr. Murphy hat einen eigenartigen Humor und ist nicht unbedingt britisch. Fair Play ist ihm kein Begriff und er ist ein schlechter Verlierer. Als wir uns wiedertrafen und er einsehen mußte, daß das Spiel mit meinem Minderwertigkeitskomplex vorüber war, verfiel er auf die Gemeinheit mich bei der Auswahl meines Partners mit Blindheit zu schlagen. Reines Glück, daß er irgendwann ein paar Monate indisponiert war, mir die Augen aufgingen und der Verlauf meiner Lebensgeschichte in diesem Punkt korrigiert wurde.
Nunmehr war Mr. Murphy beleidigt. Wir hatten eine tränenreiche große Aussprache, so in der Art 'Ich wollte doch immer nur dein Bestes und daß du an den Herausforderungen wachsen kannst.' Ich konnte ihn davon überzeugen, daß die wichtigen Grundsteine gelegt waren und er mich beruhigt ein paar Jahre alleine machen lassen sollte, dann würde er ja sehen... Er versprach sich nunmehr herauszuhalten und nur ab und an nach mir zu sehen.
Seit ein paar Tagen erwarte ich wichtige Post; wenn es läutet, rase ich zur Tür, ungeachtet statthafter Bekleidung. Viermal habe ich in den letzten Tagen Nachbarn, Handwerkern, Schlüsselvergessern und Blumenüberbringern - nicht für mich - im Bademantel gegenübergestanden. Die ruhige Phase vor dem Urlaub hat sich inzwischen in eine Unruhephase verwandelt, in der ich Probleme mit der Hausverwaltung, einen Termin mit dem Steuerberater, eine Steuererklärung und zwei Mittellagenaufträge bewältigen muß.
'Mr. Murphy, sind Sie das? Oh, hallo. Lange nicht gesehen. Was gibt es neues?'